Divergenten Theorien können jedoch gleiche Strukturen zugrunde liegen. Dazu einige Gedankensplitter, Einfälle und Denkanstöße im Blick auf Quantenphysik, Neuropsychologie und Philosophie. Die moderne Physik beschäftigt die Frage nach dem Zusammenhang von Stetigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie und Diskretheit der Quantentheorie: Quantenfeldtheorien projektieren durchgehende Quantisierung der Raumzeit; Raum & Zeit entstehen emergent aus relationalen Zuständen. Bislang kann quantentheoretisch der Übergang zur klassischen Relativitätstheorie nicht zufriedenstellend dargestellt werden.
Vielleicht könnte man den Begriff der Verschränkung auch für die Erkenntnistheorie nutzbar machen. Eine relationale Metaphysik würde zu einer Ontologie führen, die das In-Beziehung-Sein aller an einem Erkenntnisprozess beteiligten Phänomene und ihre Knoten / Verknüpfungen zum Inhalt hat und definite Bestimmungen nur in einer eng umgrenzten ‚Wolke von Wahrscheinlichkeiten‘ zulässt. Entsprechend einiger Elemente der Quantentheorie ginge es um die Relationalität, Individualität (Körnigkeit) und Freiheit (Indeterminismus) des denkenden Erkennens. – Mehr bei Phomi
Was ist ein Rationalist? Ich bezeichne mich gerne so. Vernünftig zu sein ist eine Lebenseinstellung. Natürlich bin ich nicht immer vernünftig, und meist weiß ich das auch ganz genau – und tue es dann trotzdem. Manchmal bereue ich es, manchmal nicht. Phantasie und verrückte Ideen sind bisweilen viel besser als eine vernünftige Handlung, mag ihre Vernünftigkeit nur scheinbar oder offensichtlich sein. Aber was ist eigentlich „vernünftig“?
… Der Weg der Wissenschaft ist ein kritischer: prüfend, tastend, irrend und auch wieder wahrhaftig erkennend, ein Weg, der sich von der Vernunft leiten lässt. Man kann dies auch einen Glauben nennen, einen Glauben an die Vernunft, die alles erkennt und gestaltet, aber vielleicht sollte man es auch Vertrauen nennen: Das Vertrauen darauf, dass die Rätsel der Welt, des Menschen und meines einzelnen Lebens eine Bedeutung im Ganzen haben, – einen wenn auch noch so winzigen Funken Sinn. Und dass es die Vernunft ist, die uns Gegenstände und Sachverhalte, Sinn und Bedeutung der Welt und unserer selbst erkennen und erschließen lässt. Das heißt es, die Vernunft vernünftig zu denken. [Mehr im Blog phomi]
Schon im ersten Teil dieser wissenschaftsphilosophischen Darstellung wurde darauf verwiesen, dass moderne Epidemiologie einen doppelten Fokus hat: Erkenntnisse über causal chains zu gewinnen, um daraus folgend Interventionsmöglichkeiten abzuleiten und begründete Voraussagen (prediction) über Krankheitsverlauf und mögliche Therapien zu treffen. Bis dato war es ein viel diskutiertes Problem, mit wesentlichen Unsicherheiten im Umgang mit Infektionskrankheiten zu rechnen und dieses unsichere Wissen in das epistemische Grundegerüst einzubauen.
Dann trat etwas ein, was Alex Broadbent eine “Methodological Revolution” nennt: Die Einführung mathematischer Methoden in die Epidemiologie mit dem Ziel, eben diese Unsicherheit einzugrenzen oder zu beseitigen durch Berechnung der möglichen Ergebnisse, genannt “Potential Outcomes Approach” und kurz “POA”. weiter im Blog phomi
„Anfang der Siebziger in Italien oder Westdeutschland geboren worden zu sein, hat unsere Generation zum wohlhabendsten, gesündesten, sichersten, am besten gekleideten und ernährten sowie verhätschelsten Stück Menschheit gemacht, das je auf Erden gewandelt ist.“ Antonio Scurati, FAZ 15.03.2020
Das Coronvirus ist Auslöser einer weltweiten Epidemie (=Pandemie), die tief in unseren Alltag eingreift und zu starker Verunsicherung führt. Zunächst besteht die Verunsicherung darin, dass man nicht weiß, wie man sich ‚richtig‘ verhalten soll. Bei einer Grippe oder anderen Krankheit geht man zum Arzt, bekommt Medikamente verschrieben und wird schlimmstenfalls zur weiteren Behandlung ins Krankenhaus überwiesen. All das trifft heute beim Coronavirus nur beschränkt zu: Nicht gleich in die Arztpraxis gehen, erst dort oder bei einer Hotline des Gesundheitsamtes anrufen, Symptome abklären, eventuell zum Test geschickt werden und dann in häusliche und – schlimmeren Falls – klinische Quarantäne zwecks Überwachung und Behandlung eingewiesen werden.
Bei „Behandlung“ muss man schon einhalten, denn es gibt noch keine erprobte Behandlung von Corona-Patienten. Bisher kann man nur Begleiterscheinungen behandeln und den Gesamtzustand stabilisieren, bis der Organismus selbständig die Virusinfektion überwunden hat. In extremen Fällen schafft es der Körper nicht (Vorerkrankungen, Alter, Schwäche), und der Organismus versagt: Der Mensch stirbt. Auch eine vorbeugende Impfung gibt es noch nicht, es wird auch noch Monate dauern, bis eine solche getestet und verlässlich angewandt werden kann. Eher kann schon auf baldige Medikamente gehofft werden, die sich bereits bei anderen Viruserkrankungen bewährt haben und gerade auf ihre Wirksamkeit bei Corona erprobt werden – in Einzelfällen auch bei uns in Deutschland.
Das öffentliche Leben ging eine Weile noch unverändert weiter. Aber spätestens seit gestern, Freitag, ist klar: Nichts wird weitergehen wie bisher. Das öffentliche Leben erfährt einen Lockdown. Alle Veranstaltungen fallen aus, Gaststätten und Clubs schließen, und manche ärgern sich immer noch, dass Bundesligaspiele und alle anderen Sportereignisse betroffen sind. Dabei ist das noch das Wenigste. Soziale Kontakte müssen reduziert bzw. ausgesetzt werden. Die Wirtschaft und Verwaltung wird massiv beeinträchtigt. Das Unverständnis vieler Menschen, warum sich nun das gesamte öffentliche Leben (Schulen, Verkehr, Freizeit, Arbeit) ändert und insofern das Alltagsverhalten eines jeden Einzelnen betroffen ist, zeigt, wie schwer es fällt, sich auf eine solche andere, außergewöhnliche Situation einzulassen, anzuerkennen, dass es anders ist als bei einer normalen Grippe, – auch wenn der Corona-Krankheitsverlauf bei vielen nur leicht ist. Aber eben nicht bei allen, sondern bei einer großen Zahl von Menschen kann er auch schwere Verläufe hervorrufen. Es sind nicht nur Ältere und Vorerkrankte betroffen, sondern Menschen quer durch alle Altersgruppen und soziale Zugehörigkeiten. Die „Bellsche Normalverteilung“ (Glockenkurve) schließt eben auch eine für Corona spezifische Verteilung des Krankheitsverlaufs ein, zu der ein bestimmter Anteil schwerer und schwerster Verläufe hinzugehört wie auch leichter und nahezu unbemerkter.
Diese prozentuale Verteilung ist dramatisch anders als bei einer herkömmlichen Virusgrippe. Und gegen die Virusgrippe haben wir Mittel und Vakzine. Bei Corona gilt das bis auf weiteres nicht. Weil wir nichts anderes haben und nichts Besseres wissen, ist Eindämmung, Unterbrechung der Infektionsketten durch Kontaktvermeidung das einzige Mittel, das medizinisch geboten ist und in politischer Verantwortung durchgesetzt werden muss – wirtschaftliche Folgen inbegriffen. Den eigenen Lebensstil kann man allerdings nur aus eigener Einsicht ändern und sozial einschränken. Das verlangt ein Stück Verständnis, Rücksichtnahme, Solidarität mit Schwächeren im Interesse der Gesamtheit. Denn es nützt allen, wenn die Ausbreitung verlangsamt und Verläufe gemildert werden.
Ich denke, es ist noch etwas anderes, das die Schwierigkeiten der Akzeptanz dieser beunruhigenden und gefährlichen Virusinfektion ausmacht: Wir sind hilflos einem Naturgeschehen ausgeliefert. Dass man nichts gegen schlimme Krankheiten tun kann, hat etwas Archaisches. Ebola hat man ziemlich schnell in den Griff gekriegt, selbst HIV ist nach längerer Zeit eine inzwischen gut therapierbare Krankheit, und auch beim Krebs gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Behandlungsmethoden, welche die Überlebenschancen ständig verbessern. Und jetzt Corona. Nichts zu machen, das Virus ist da, ist im Umlauf, viele Menschen erkranken daran. Ein Gefühl der Ohnmacht beschleicht einen – oder das Verdrängen: „Alles halb so wild, alles übertrieben!“ Bis es den Nachbarn, die Kollegin oder einen selber trifft.
Wir haben das Gefühl für die Urwüchsigkeit von Krankheiten verloren. In unserer technisierten Zivilisation gibt es gegen alles und jedes ein Mittel, ein Verfahren, einen intelligenten Ausweg. Nur hier beim Coronavirus versagt unsere Kunst. Nun, natürlich nur was die direkte Bekämpfung des Virus angeht. Die begleitende Behandlung auf den Intensivstationen ist technisch auf höchstem Niveau, hochqualifiziert und äußerst effektiv; die bisher geringen Zahlen von Toten bei uns belegen das. Die sehr viel ältere Generation, die noch das Ende des Krieges 1945, vor 75 Jahren, mitgemacht hat, kennt das Gefühl noch besser. In den ausgebombten Städten, auf der Flucht, im Flüchtlingslager ging es ums Überleben angesichts von Ruhr, Typhus, Cholera, Kinderlähmung. Da gabs keinen Notfall-Dienst, keine topmoderne Klinik. Ein Glück, dass das vorbei ist, niemand sehnt sich bei uns nach solchen Zuständen (leider ist es in den Flüchtlingslagern heute immer noch Gang und Gäbe). Aber wir müssen wieder ein Stückchen das Gefühl des Ausgeliefertseins lernen gegenüber der Tücke solch raffinierter RNA-Viren, zu denen Corona gehört: „Die Erreger der überwiegenden Mehrheit der neu auftretenden viralen Infektionskrankheiten der letzten Jahrzehnte (Variationen der Influenzaviren, SARS, Ebolavirus), aber auch die bereits jahrtausendealten Tollwut-Erreger sind RNA-Viren.“ (Wikipedia)
Gelassenheit ist angebracht, aber auch Sorge, Vorsorge und Rücksichtnahme. Kultur und Zivilisation erweisen sich immer wieder als sehr dünne Schicht, als Firnis über dem Untergrund der rohen Natur.
Seit Langem gibt es das Bemühen, eine „Theorie von allem“, TOE (theory of everything) aufzustellen. Das kann sich im engeren Sinne auf die Physik beziehen, wo darunter eine Vereinheitlichung nicht nur der Teilchenphysik (was als gelungen gelten kann), sondern vor allem der vier Grundkräfte verstanden wird. Die „Weltformel“ spukt dann und wann als Thema des Feuilletons durch die Medien.
Sodann gilt es, ganz allgemein gesprochen ‚Relativitätstheorie‘ und ‚Quantenphysik‘ miteinander auszugleichen, was zugleich die Frage nach der Alternative von kontinuierlichem oder diskretem Verständnis der Materie aufwirft. Über die Physik hinaus gibt es aber auch in der Erkenntnistheorie das Streben nach Vereinheitlichung, hier verstanden als Vereinheitlichung der Wissenschaft. Im angelsächsischen Raum ist dies zumeist als Votum für den physikalistischen Naturalismus gemeint. [Lies mehr…]